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Gefühle in der Spiritualität

 

Viele Menschen, die sich auf den spirituellen Weg begeben, kommen früher oder später an den Punkt, an dem sie sich fragen, inwieweit sie ihre Gefühle fühlen und leben dürfen. Eine Option für den Umgang damit, möchte ich Dir heute vorstellen.

 

Besonders wenn Menschen zu meditieren beginnen oder bereits eine Weile dabei sind, stolpern sie früher oder später über die Frage, ob sie ihre Gefühle überhaupt noch wirklich fühlen dürfen. Der Auslöser dafür ist meiner Erfahrung nach, dass in der Meditation unter anderem gelehrt wird, in die innere Beobachter*innenrolle zu gehen und eine gewisse Distanz zu den eigenen Gefühlen aufzubauen.

 

Der Hintergrund für diese Idee macht aus meiner Sicht absolut Sinn. Es geht um die Erweiterung der eigenen Wahrnehmung, durch die Erfahrung, dass das, was uns im Alltag manchmal innerlich schier umzuwerfen droht, auch „nur“ ein Gefühl ist. Die Idee ist, wahrzunehmen, dass jedes Gefühl kommt und geht. Die schönste, genauso wie die schlimmste Empfindung taucht auf und verschwindet wieder. Wer diese Erkenntnis durch Erfahrung gewonnen hat, wird sie zu schätzen wissen.

 

Dieser Punkt bietet jedoch auch die Gefahr, zu versuchen, sich ganz von den eigenen Gefühlen zu entfernen und sie nicht mehr wahrnehmen zu wollen. Oftmals stellen sich Menschen an dieser Stelle die Frage:

„Sind meine Gefühle überhaupt noch wichtig, wenn sie sowieso nicht von Dauer sind?“

 

Diese Frage möchte ich mit einem ganz klaren „Ja!“ beantworten. Nachdem ich selber durch mehrere dieser Phasen gegangen bin und lange Zeit selber auf diese Weise versucht habe, mich von meinen Gefühlen zu distanzieren, bin ich zu einer klaren inneren Haltung gekommen. (nun gut…zumindest so klar, wie es in einem sich permanent wandelnden menschlichen Leben sein kann…) Ich habe erfahren, wie ungesund es für mich ist, Empfindungen nicht zu spüren und sie von mir fernhalten zu wollen. Es war, als würde ich nicht mehr richtig am Leben teilnehmen und endete schließlich in körperlichen Symptomen. Spätestens an dem Punkt wurde mir klar, dass dies nicht der Weg sein kann.

 

 

 

 

 

 

 

Aufgrund dieser Erfahrungen sehe ich die Sache so: Wir sind Seelen, die sich auf den Weg gemacht haben, sich selbst zu erfahren, indem sie ein menschliches Leben annehmen. In diesen Leben durchlaufen wir die verschiedensten Täler und Höhen und all den Spaß, der so dazwischen liegt. Wodurch machen wir Menschen Erfahrungen? Durch das Spüren unserer Gefühle. Es sind unsere Emotionen, die uns zu Handlungen bewegen oder uns von ihnen abhalten. Unser Leben wiederum besteht aus der Aneinanderreihung von Handlungen bzw. Nicht-Handlungen.

 

Zu versuchen, Gefühle nicht mehr zu fühlen oder sie nicht mehr zu leben, halte ich für ebenso ungesund wie die andere Richtung, nämlich sich von den eigenen Gefühlen bestimmen zu lassen.

 

Wie kann also ein Mittelweg zwischen dem Ausleben der Gefühle und der Distanz zu ihnen aussehen?

 

Es ist wichtig, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und sie zu leben. Wenn wir traurig sind, ist es oftmals erleichternd zu weinen und wie sinnlos und traurig wäre es, uns das Lachen zu verbieten, wenn wir glücklich sind? Gefühle, die nicht gespürt werden dürfen, gehen in den Untergrund und arbeiten von dort aus weiter. Was wir uns jedoch anschauen, was wir uns zu fühlen erlauben, das verändert sich.

Gleichzeitig ist es äußerst hilfreich zu erfahren – nicht nur zu wissen – dass alles kommt und geht. Es ist hilfreich zu erleben, dass wir die Möglichkeit haben, uns von unseren Gefühlen soweit zu distanzieren, dass wir wahrnehmen können, dass wir mehr sind als unsere Gefühle.

 

Was bedeutet das nun konkret fürs Leben?

Erlaube Dir Deine Gefühle! Du darfst glücklich, traurig, enttäuscht, fröhlich, entspannt, angespannt sein. Du darfst alles sein, was in Dir auftaucht. Mache Dir jedoch gleichzeitig klar, dass Du mehr bist als Deine Gefühle. Verliere Dich nicht in ihnen, indem Du sie exzessiv auslebst (z.b. ohne Ende wütend auf jemanden bist oder im verliebst sein den Boden unter den Füßen verlierst). Du bist mehr als Deine Emotionen und dadurch in der Lage, soweit auf Abstand zu ihnen zu gehen, dass Du Dir damit selbst einen größeren Handlungsspielraum ermöglichst.

Poste Deine Fragen zu diesem Thema gerne in die Kommentare.