Entsetzen

Fassungslosigkeit

Wut

Hass

Trauer

Hilflosigkeit

 

Das waren und sind die Gefühle, die ich empfinde, wenn ich an die Tötung von George Floyd in Minneapolis denke. Die Proteste und Demonstrationen seitens der Bevölkerung treffen auf Anklang in mir. Die Wut will raus. Sie sucht ein Ventil.

Die Wut darüber, dass so etwas überhaupt geschehen kann. Die Fassungslosigkeit darüber, wie groß der rassistische Rückhalt in der Gesellschaft bzw der Politik sein muss, wenn sich Polizisten dieses Verhalten erlauben können.

In den Berichten zu den Demonstrationen hörte ich seitens der Demonstrierenden öfters die Aussage, dass sie so aggressiv vorgehen, weil sie das als Gerechtigkeit empfinden. Das finde ich eine verständliche Reaktion. Würde jemand, dem ich mich auf die eine oder andere Weise zugehörig fühle, getötet, kämen auch in mir gewaltvolle Vorstellungen auf. Die Frage, die ich stellen möchte, ist jedoch, wie hilfreich und gerecht es wirklich sein kann, tatsächlich mit Gewalt zu reagieren?

 

Wir kennen das alle

Ich glaube, jede*r von uns kennt Momente, in denen wir vor Wut kaum an uns halten können, oder? Besonders wenn wir selbst beleidigt oder angegriffen werden, reagieren wir meist auf ähnliche Weise. Mir ist das vor ein paar Jahren mal auf einer Demo passiert (sonst natürlich nicht….). Ich hatte eine Frau wegen dem Pelzkragen an ihrer Jacke angesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Pelz mit größter Wahrscheinlichkeit von einem Tier stammt, dass auf qualvolle Weise ermordet wurde. Sie sagte erstmal nichts und ich ging. Kurze Zeit später kam sie auf mich zu und redete auf mich ein. Ich erwiderte etwas und ein Wort ergab das andere. Letztendlich standen wir uns fast (! – darauf möchte ich hier Wert legen…) schreiend gegenüber. Mein Ego brauchte einige Zeit bis es klar hatte, dass der Ablauf wohl der ungünstigste überhaupt gewesen war: sie machte dicht, ich machte dicht. Beide blieben bei ihren Meinungen. Na klasse.

 

Wie wir aus einer Gewaltspirale aussteigen können

 

Aus dieser Reiz-Reaktion-Abfolge auszusteigen kann ein wirklich herausfordernder Weg sein. Denn es bedeutet, dass eine der beiden „Seiten“ damit beginnen muss, sich selbst zu reflektieren. Es benötigt die Erkenntnis, dass die Gewalt oder Aggression sich immer weiter hochspielen wird, wenn niemand aus diesem Kreislauf aussteigt. Wie kann eine Unterbrechung gelingen?

 

In dem Moment, in dem eine der beiden Seiten erkennt, dass Gewalt nicht das Ziel sein kann und nicht zu Gerechtigkeit führen kann, weil dadurch immer wieder neue Betroffene und Rachewünsche entstehen, gibt es Raum für etwas anderes. Das ist der Moment, in dem die Chance besteht, eine Unterbrechung der Gewaltspirale zu erreichen. An dieser Stelle benötigt es ein nach-innen-schauen. Es benötigt die Wahrnehmung für das, was in einem selbst geschieht, wenn von außen Hass und Aggression herangetragen werden. Wenn wir uns das anschauen und bereit sind, die Gefühle, die in dieser Situation in uns auftauchen, wahrzunehmen und sie da sein zu lassen (indem wir sie spüren) kann wieder Raum für Miteinander, ja sogar Liebe, entstehen. Nicht unbedingt Liebe für die „andere Seite“ – wobei das auch geschehen kann – aber Liebe für sich selbst.

 

 

Wut ist Energie – und kann gelenkt werden

 

Ich denke, eine Situation wie die in Minneapolis, ist eine der größten Herausforderungen für so etwas. Denn auf eine Tötung mit etwas anderem als Aggression zu reagieren, ist eine Leistung. Besonders bei dem jahrhundertelangen, rassistischen Hintergrund auf dem die Tat geschah und der dadurch erzeugten nachvollziehbaren Wut.

Die Wut darf meiner Ansicht nach auch ihren Raum haben, nur eben nicht als Gewalt. Wird eine gewaltvolle Spirale durch Innehalten, Hinschauen und Spüren unterbrochen, kann die Wut durchaus sinnvoll genutzt werden. Denn Wut ist Energie und sie kann in friedliche und denoch kraftvolle Bahnen gelenkt werden. Zum Beispiel in andauernde Demonstrationen, Petitionen, Aufrufe etc.

 

In vielen Bereichen stehen gerade Menschen für sich selbst und andere Menschen, Tiere oder die Natur auf und werden dafür angegriffen. Gerade von ihnen wird nun verlangt, dass sie – das heißt, diejenigen, die eh schon unterdrückt wurden und deren Wut noch keinen wirklichen Raum hatte – nun die sein sollen, die als Erste die Gewalt zurücknehmen? Meine Meinung dazu ist: Ja. Weil es weise ist. Weil es genau die Art von neuer Welt schafft, die wir dringend benötigen. Und weil es Liebe in die Welt bringt oder zumindest den Raum für Liebe schafft.

 

Ich wünsche uns, dass jeder und jedem von uns das immer besser gelingt: Dass wir immer öfter in der Lage sind, unsere innere Reaktion auf eine äußere Aggression wahrzunehmen, sie anzuschauen und uns selbst gut zu versorgen, bevor wir im Außen reagieren.

Ich wünsche uns Liebe.