Darf Psychotherapie politisch sein?

Darf Psychotherapie politisch sein?

Der Weg des Herzens

[Lesezeit: 5 Minuten)]

 

Darf Psychotherapie politisch sein?

So wie Paul Watzlawick davon ausgeht, dass man nicht nicht kommunizieren kann, bin ich der Meinung, dass mensch nicht nicht politisch sein kann. Denn wir alle haben eine Haltung zu den Themen, die uns betreffen. Selbst wenn jemand sagt, sie sei nicht politisch, wird diese Person eine Meinung zu Themen wie Fleischkonsum/Veganismus, zu Verschwörungstheorien oder zum Renteneintrittsalter haben. Das alles ist auch politisch. Wie könnte es also eine:n Psychotherapeut:in geben, die:der nicht politisch ist? Die Frage ist, wie sehr die Haltung einer Therapeutin in ihre Arbeit einfließt – und ob sie es sollte.

 

Was ist Therapie?

Das Wort Therapie kommt aus dem altgriechischen und bedeutet „Heilung, Behandlung“, sagt Wikipedia. Sie dient Menschen dazu, sogenannte Krankheiten zu überwinden und unterstützt sie auf dem Weg zur Heilung.

Oder in meinen eigenen Worten: Therapie hilft Menschen dabei, alte Muster und Verletzungen zu überwinden und dadurch bei sich selbst anzukommen. Sie kommen in ihrer Mitte an und bringen das Potenzial in die Welt, das sie in sich tragen.

 

Verbindung zwischen Therapie und Politik

Es gibt aus meiner Sicht zwei Punkte, die Therapie und Politik besonders verbinden. Der erste ist der Grund, aus dem Menschen in die Therapie kommen. Das liegt oftmals an psychischen Problemen, deren Ursachen in den Strukturen unserer Gesellschaft zu finden sind.

Sexuelle Gewalt zum Beispiel wird durch patriarchale Strukturen befördert. Das heißt, dass z.B. die Tatsache, dass Frauen und besonders die Lust von Frauen immer noch diskriminiert werden und dass Männern immer noch mehr Macht gewährt wird als Frauen, in nicht unerheblichem Maße dazu beiträgt, dass Männer sexuelle Gewalt gegen Frauen richten.

Der in unserer Gesellschaft vorhandene Rassismus ist ein weiteres Beispiel für politische Ursachen psychischer Probleme. Er trägt dazu bei, dass Menschen Diskriminierung bis hin zu psychischer und physischer Gewalt erfahren und aufgrund dessen eine Therapie aufsuchen (müssen).

Der zweite Punkt, der Therapie und Politik verbindet, ist die Phase der Therapie, in der ein Mensch bei sich ankommt. Oftmals gibt es in dem Moment eine gewisse Vulnerabilität und Feinfühligkeit, weil sich innerlich ein neuer Raum öffnet und es einen gewissen Schutzraum im Außen benötigt, um sich mit diesen neuen Emotionen auszuprobieren. Häufig kommt die Frage auf, wie und wo diese sanften Gefühle in unserer Gesellschaft Platz haben können. Die Antwort ist nicht immer leicht zu finden. Denn viele Menschen wissen oder spüren deutlich, dass in unserer Gesellschaft Konkurrenz, Macht, Karriere und Erfolg ein hoher Stellenwert zugeordnet wird. Sie fragen sich, wo und wie Feinfühligkeit, Miteinander, Gleichberechtigung und Liebe ihren Platz bekommen können.

Die politische Haltung einer/eines Therapierenden scheint mir daher besonders an diesen beiden Punkten in der Therapie von Bedeutung zu sein. Denn natürlich macht es einen Unterschied, welche Sicht die Therapierende auf die Gesellschaft und die Welt im Allgemeinen hat, weil wir nun mal nicht nicht kommunizieren können. Die Haltung eines Menschen kann selbst bei sehr großer Zurückhaltung zumindest ein Stück weit eingeschätzt werden. Bei der Dauer einer Therapie, die meist aus mehreren Monaten, manchmal auch Jahren, besteht, ist es kaum vorstellbar, dass ein:e Klient:in die Haltung ihrer/seines Therapierenden nicht wahrnimmt.

 

Mein Fazit

Mein Fazit ist daher, dass Therapie nicht in dem Sinne politisch sein darf, dass ein Klient, eine Klientin beeinflusst wird. Die Klientin soll hingegen dazu ermutigt werden, sich frei zu entwickeln.  

Doch im Rahmen dieser Entwicklung kommt die Klientin früher oder später in Kontakt mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten, und an dieser Stelle spielt die politische Haltung der Therapierenden eine Rolle: Nehmen sie die vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen, in der wir Menschen uns bewegen, als gut und gegeben wahr? Oder vertreten sie die Haltung, dass es nicht nur das Individuum, sondern ebenso die Gesellschaft ist, die einer Veränderung bedarf? Sind ihnen die Umstände bewusst, die einen Menschen dazu veranlassen, eine Therapie aufzusuchen und kritisieren sie diese sogar? Oder sehen sie die Ursache für die psychische Erkrankung allein im Gegenüber?

 

Eine kritische Haltung der Therapierenden kann den Klient:innen Rückendeckung geben und sie wissen lassen, dass die (schwierigen) Umstände, in denen sie sich befinden, nicht (allein) in ihrer Person begründet sind. Insofern finde ich, dass Psychotherapie an manchen Punkten sogar politisch sein sollte.